Mittwoch, 16. März 2011

Mein neues Hobby

Erst Schmalfilm, dann Super8, dann VHS und irgendwann kamen die Camcorder ganz ohne Zelluloid aus. Wer kennt das nicht: Die Begeisterung beim Drücken des  Aufnahmeknopfes steckt an. Mich jedoch konnte die Möglichkeit, selbst Filme zu drehen, bisher nicht begeistern. Die Fotographie habe ich als Hobby schon von meinem Vater geerbt. Doch um die bewegten Bilder machte ich einen Bogen. Meine Spiegelreflex wurde mit Diafilm geladen und dann kam eine handliche Digitalkamera. Ein Bild sagt mehr als tausend Video-Clips. Mit den stehenden Bildern lässt sich eine Urlaubsreise wunderbar nacherzählen. Amateur-Videos hingegen werden als langweilig empfunden. Man vergleicht sie sofort mit den professionellen Dokumentationen und Filmen, die das Fernsehen liefert. Wer kann schon mit den Profis und ihrer Technik mithalten? Während alle Welt filmte, war ich bei meinen stehenden Bildern stehen geblieben.

Das Ende meines Verzichts begann mit einem Abend im Oktober, als Taktzente - mein Chor in Wangen -  einen Abend beim Anglo-Stammtisch (dem ich in gesunden Zeiten auch angehöre) gestaltete. Wie üblich ging die Mütze rum für die Sänger. Doch die entschieden sich, auf die Gage zu verzichten zugunsten ihres kranken Mitsängers und seiner Familie. Als wir dann nach der Chemo wieder zu Hause wohnten, kamen zwei Leute des Vorstandes zu Besuch und überreichten uns einen dicken Umschlag. Einzige Bedingung für die großzügige Spende: das Geld sollte für ein Projekt mit Spaßfaktor verwendet werden. Heraus kam eine neue Kamera mit Video-Funktion. Zu Weihnachten lag dann noch Software für den Video-Schnitt und ein Buch als Anleitung auf dem Gabentisch. Seither teste ich den Spaßfaktor der Filmchenmacherei. Als Schauspieler stehen unsere Zwillinge jederzeit am Set bereit, ganz ungeschminkt und doch genial. Ich muss nur gelegentlich die Tapsen abwischen, die die kleinen Finger auf der Linse der neuen Kamera hinterlassen. Ein herzliches Dankeschön an den English-Club und an die Taktzentler!
  • hier eine Kostprobe aus meiner Video-Schneiderei - klick
Fraglich, ob ich jemals wieder zu meinen Foto-only Standards zurückkehren werde. Ich muss wohl zugeben: Jahrzehnte nach der Hoch-Zeit der Schmalfilmerei hat mich das Film-Fieber gepackt. Und die Festplatte füllt sich an jedem sonnigen Tag mit neuen Videoclips. Mehr Speicher braucht das Hobby.

Dienstag, 15. März 2011

Entwarnung - teilweise

Alle drei Monate wird es spannend und die drei Monate sind um. Kontroll-Untersuchungen stehen auf dem Plan. Ich gehe davon aus, dass die Krebszellen alle an Chemo gestorben sind. Nur noch gesunde Zellen kümmern sich um die Regeneration meines Blutes. Aber: Vertrauen ist gut, Wissen ist besser. Daher muss ich für die nächsten zwei Jahre jedes Vierteljahr zu einer großen Untersuchung. Vier Mal im Jahr gibt es nervöse Wochen in Erwartung des Befundes. Daumen hoch oder Daumen runter? Mein Blut wird untersucht und das Knochenmark angezapft. Die Proben gehen  in Speziallabore nach München und Tübingen. Außerdem wird der ganze Körper mittels Computer-Tomographie durchleuchtet. Falls doch wieder irgendwo unerwünschtes Wachstum passiert, will man schnell einschreiten können.

Eigentlich war das Vierteljahr nach der letzten Untersuchung schon Mitte Februar um. Doch die Ärzte hatten es nicht eilig. Ist doch nur eine Routine-Übung. Inzwischen wurde es Anfang März, bis endlich die Termine für die Untersuchung standen. Seit Montag liegen die Befunde auf dem Tisch. Ergebnis: Negativ! Hurra, es gibt keine Krebszellen im Knochenmark oder im Blut - zumindest lassen sich keine nachweisen. Gott sei Dank! ER hat Heilung geschenkt. Und bisher ist es dabei geblieben. Ich habe mir in den letzten Wochen umsonst Sorgen gemacht.

Allerdings erschien den Ärzten beim Auswerten der CT-Bilder noch etwas unklar - und zwar in meiner Lunge. An der Stelle, die schon am Anfang meiner Krankheit zu dem Verdacht auf Lungenentzündung geführt hatte, stimmt etwas nicht. Was da los ist, lässt sich wohl auch anhand der computergenerierten Röntgenbilder nicht ganz klären. Der Arzt sagt: Da machen wir eine Verlaufskontrolle. Beobachten ist also angesagt. Bereits in sechs Wochen wird man mich wieder durch die Röhre schieben und durchleuchten. Dann wird sich zeigen, ob da etwas wächst.

Das Ende meiner Krankschreibung rückt näher. Ich darf wieder ans Arbeiten denken. Im April will der Arzt mit mir einen Plan aufstellen, wie ich langsam und schrittweise wieder in das Arbeitsleben einsteigen kann. Zunächst sollen ein paar Arbeitsstunden jede Woche geplant werden, dann halbtags und wenn alles gut läuft, winkt die Gesundschreibung. Wird dann alles wieder seinen gewohnten Gang gehen?

Donnerstag, 3. März 2011

Krebs - (k)ein Thema

Als neulich eine Bekannte anrief und sich nach meinem Befinden erkundigte, berichtete ich erst von den Kindern und wie sie laufen gelernt haben. Dann erzähle ich von mir. Ich habe Zeit, meinen Hobbys zu frönen. Meinen Computer habe ich umgebaut. Jetzt ist das Gerät auf dem neuesten Stand und besitzt genügend Muskeln,  um zügig Videos schneiden zu können. Ehe ich mich noch mehr in Einzelheiten verlieren kann, kommt von der anderen Seite die Bemerkung, dass ich von meiner Krankheit und Genesung offenbar nichts mehr zu erzählen habe.

In der Tat, Krebs tritt in den Hintergrund. In den letzten Wochen ist ein Alltag eingezogen, der kaum noch an die Krankheit erinnert. Vormittags sitze ich am Schreibtisch. Da ich den normalen Dienst noch nicht wieder aufnehmen kann, suche ich mir nach Lust und Laune heraus, was ich mir vornehmen will. Richtig arbeiten ist noch kaum möglich. Dazu fehlt die Konzentrationsfähigkeit. Ganz ohne Termindruck kann ich jedoch tun, was mir Freude macht - und was mich davor bewahrt, ganz einzurosten. Den Nachmittag widme ich dann entweder den Kindern oder nehme mir Arbeit in Haus und Garage vor. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich bei dem Versuch ertappe, den Gedanken an die Krankheit auszublenden. Krebs darf jetzt kein Thema mehr sein.

Neulich sind wir auf der Autobahn in Sindelfingen vorbei gefahren. Sofort waren alle Erinnerungen wieder da. Sollten wir einen kurzen Abstecher machen hoch zum Krankenhaus? Nein, danke - dazu habe ich derzeit keine Lust. Ich wüsste keinen Grund, warum ich die Erinnerung an die Chemo-Therapie pflegen sollte.
Und doch bleibt Krebs ein Thema. In der kommenden Woche stehen zwei Arzttermine an. Jetzt kommt die Kontroll-Untersuchung, die eigentlich für Mitte Februar geplant war. Alle sagen mir: “Mach dir keine Gedanken! Du musst einfach davon ausgehen, dass keine neuen Krebszellen wachsen.” Ja, davon sollte ich ausgehen...

Noch auf eine andere Art und Weise bleibt Krebs ein Thema. Am Freitag trifft sich in Lindau eine Selbsthilfegruppe für Lymphomkranke. Da bin ich eingeladen. Schon zweimal war ich dort. Am Anfang hatte ich Zweifel. Krebs wird dort ganz sicher ein Thema sein. Will ich das wirklich? Wichtig sind solche Treffen für Leute mit chronischen Lymphomen und Leukämien. Bei diesen Diagnosen bleibt Krebs ein Dauer-Thema. Die Betroffenen leben von Medikamenten und von der Hoffnung, dass der Krebs auf ein erträgliches Maß beschränkt bleibt. Aber ich? Wenn es stimmt, dass ich geheilt bin, brauche ich doch eher den Abstand von alledem.

Nachdem meine eigene Krankheit immer weniger ein Thema bildet, kommen andere in den Blick. Da gibt es so viele, die selbst mit Krebs zu kämpfen haben oder in der Familie eine Tragödie erleben. Mit der eigenen Erfahrung kann ich jetzt viel besser mitfühlen und auch mitreden.  Hier tut sich mir ein anderer Blick auf meine eigene Erfahrung auf. Vielleicht kann ich anderen helfen, die sich mit dem Problem Krebs konfrontiert sehen. Freilich wäre es verlockend, wenn ich zeigen könnte: Seht, Krebs kann geheilt werden. Krebs stellt nicht mehr die ultimative Bedrohung für das Leben dar. Die Medizin gibt Hoffnung. Doch ich weiß ja, dass Krebs nicht gleich Krebs ist. Gegen viele Krebserkrankungen hat auch heute die Medizin kein heilendes Mittel zur Verfügung. Doch es gibt eine Hoffnung. Die reicht über die Krankheiten dieses Lebens hinaus. Diese Hoffnung ruht auf dem, der im sterben ausrief: “Tetelestai!” Mit dieser Hoffnung kann Krebs getrost ein Thema bleiben.