Montag, 25. Oktober 2010

“Wir haben Sie geheilt!”

“Wir haben Sie geheilt!” Das waren die Abschiedsworte des Stationsarztes. “Seine Worte in Gottes Ohr!” denke ich zuerst. Dann sollte ich eigentlich vor Freude tanzen und die ganze Welt umarmen. Ich werde als geheilt entlassen. Doch mir ist nicht nach Jubel zumute. Vielmehr kann ich kaum die Kraft aufbringen, um aus dem Bett zu kommen. Es gibt da offenbar einen Unterschied zwischen “geheilt” und “gesund”. Wenn ich nicht schon aus Erfahrung wüsste, dass die unmittelbaren Nebenwirkungen der Chemo bald nachlassen werden, würde ich noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben.  Man kann getrost sagen, dass mich die Ärzte mit ihrer Behandlung in dieser Woche mal wieder so richtig krank gemacht haben. Das ist der erste Eindruck. Doch der äußerliche Eindruck täuscht. Die Ärzte haben mich in sofern geheilt, dass sie die Krebszellen abgetötet haben mit ihren Medikamenten (hoffentlich alle, sodass sich keine erneut vermehren können). Was mich jetzt krank macht, sind allesamt Nebenwirkungen der Chemo. Die Zeit muss jetzt die vielen kleinen Wehwehchen heilen oder die Reha (“Anschlussheilbehandlung”) Ende November. Bis ich wieder gesund bin, können noch Monate in’s Land gehen.

Trotzdem, wenn die Worte des Stationsarztes eine Art Abschlussdiagnose darstellen, dann gibt es viel Grund zur Dankbarkeit. Dankbar bin ich für die Kunst der Ärzte und die Betreuung in der Klinik. Dankbar bin ich für die vielen kleinen Handgriffe der Schwestern, die dafür gesorgt haben, dass die Infusionen richtig liefen. Vor allem gilt der Dank Gott, meinem Ober-Arzt. IHM danke ich, dass er die Hand der Ärzte bei allen Entscheidungen geführt hat und dass es zu keinen Komplikationen und Zwischenfällen gekommen ist, die eine erfolgreiche Behandlung verhindert hätten. IHM kann ich auch die Sorge anvertrauen, ob wirklich alle Krebszellen abgetötet werden konnten und dass die Krankheit nicht erneut ausbricht.

“Wir haben Sie geheilt!” Da schwillt die stolze Brust des Mediziners und sie können ja wirklich stolz sein. Durch das Können der Hämatologen ist Blut- oder Lymphknotenkrebs nicht mehr das Todesurteil, der er noch vor einer Generation war. Doch dieser Stolz bekam in den letzten Tagen einen faden Beigeschmack. Die Ärzte wollen mich nicht gehen lassen. Es stehen noch einige Behandlungen und Nachuntersuchungen an, die ambulant durchgeführt werden. Dazu hatte ich auf eine Überweisung aus Sindelfingen zu einem Arzt in der Nähe unseres Wohnortes gehofft. Doch die Überweisung blieb aus. Als ich mich selbst um eine Arztpraxis in Wangen kümmerte, war die Reaktion der Krankenhausärzte eher frostig. Sie scheinen allen Ernstes zu erwarten, dass ich wegen der ambulanten Termine jeweils die 250 km vom Allgäu nach Sindelfingen fahre, wenn ich diese Untersuchungen auch mit 2 km Fahrweg vor Ort haben kann. Da scheint unter den Ärzten noch echte Kleinstaaterei zu herrschen.

Ich darf nach Hause. Die nächste Woche über werden wir noch im Schwarzwald wohnen, wo Frau und Kinder für die vergangenen Monate eine vorübergehende Bleibe bei der Verwandtschaft gefunden haben. Und bald können wir ganz zurück in unser zu Hause in Wangen. Für die nächsten Wochen gilt allerdings erstmal die Warnung des Chefarztes: “Werden Sie nicht leichtsinnig!” Die Immunabwehr des Körpers wird auch diesmal wieder in den nächsten Tagen zusammen brechen. Die  Gefahr einer Infektion besteht auch nach der letzten Chemo. Trotzdem: Die Ärzte gehen davon aus, dass sie den Krebs geheilt haben. Gott sei Dank!

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