Die Zeit bis zur Visite vertreibe ich mir mit “Exodus” von Leon Uris. Meine Frau hat mir eine uralte Paperback-Ausgabe mitgebracht, in der noch der Mädchenname meiner Schwiegermutter steht. Zuvor habe ich diesmal schon meine Tasche gepackt. Die Entlassung muss kommen, auch wenn ich mich richtig schlapp und krank fühle. So jedenfalls lief es nach den vorhergehenden Blöcken Chemo.
Am Freitag gab es ein Malheur mit meiner PICC-Line, dem Katheter, durch den die Infusionen direkt in die Vene geleitet werden. Man hatte mir vorsorglich eine Blutkonserve mit roten Blutkörperchen gegeben, weil sich da bereits Komplikationen ankündigten. Ich war wohl so infusionsmüde, dass ich nicht darauf geachtet hatte, wann die letzten Tropfen aus der Konserve getropft waren. Als die Schwester kam, war es schon zu spät. Das Blut im Schlauch war geronnen und damit der Katheter verstopft. Der eilig herbeigerufene diensthabende Arzt gab sich viel Mühe, doch der Zugang blieb verstopft. Was soll das werden? Morgen stehen noch vier Infusionen auf dem Programm. Ein Anruf beim Oberarzt brachte dann zumindest einen Lösungsweg. Er spritzte ein blutlösendes Medikament in den haardünnen Schlauch so gut es ging, machte ihn dicht und legte mir am anderen Arm einen temporären Zugang für den restlichen Liter Kochsalzlösung, der auch noch in meine Adern musste. Am Sonnabend früh kam der Oberarzt persönlich und löste die Verstopfung mit einigen gezielten Handgriffen. Na, jedenfalls brauchte man nicht die Kanalreinigung zu rufen.
Am Sonnabend Abend gab es Besuch aus der Heimat. Pastor Kubitschek war unterwegs zur Vertretung in Süddeutschland und feierte einen Abendmahlsgottesdienst. Wie gut, dass es im Krankenhaus nicht nur giftige Medikamente sondern auch geistliche Nahrung gibt.
Am Sonntag stand dann einfach nichts mehr auf dem Programm, sodass ich mich frage, warum man mich nicht nach Hause lässt. Man will wohl die Blutkontrolle am Montag abwarten, um zu sehen, ob sich die Nebenwirkungen im erträglichen Rahmen halten. Am Sonntag fehlten die kleinen Tabletten mit dem kreuzförmigen Schlitz in meinem Medikamentenbecher. Das Geheimnis dieser Tabletten habe ich noch nicht ganz gelüftet. Se sorgen unter anderem dafür, dass ich mich während der Chemo-Woche aktiv und munter fühle. Ohne das Aufputschmittel setzen Schwäche und Trägheit ein.
Die Visite heute am Montag kommt spät. Die Ergebnisse der Knochenmarkspunktion vom vorigen Montag sind immer noch nicht da. Und ja, ich darf nach Hause. Dann geht es noch um eine mögliche Entnahme von Stammzellen für eine Selbstspende. Damit sind die Ärzte auch schon wieder raus aus meinem Zimmer. Jetzt muss ich auf den Arztbrief warten. Das kann dauern. Diesmal liege ich nämlich im ersten Zimmer vorn und die Visite hat bei mir gerade erst angefangen. Schließlich halte ich nach dem Mittagessen den ersehnten Entlassungsbrief in der Hand noch bevor die Ärzte zum Essen gehen. Am 6. September muss ich erst wieder auf die Station kommen für den nächsten Block Chemo. Das gibt drei Wochen Urlaub und hoffentlich zwei davon im Allgäu. Schnell die Tasche fertig packen ist angesagt. Dann muss ich noch in das Erdgeschoss zur Ambulanz, weil man mir dort die Rezepte für die nötigen Medikamente zu Hause ausstellt.
In der Ambulanz kommt der Oberarzt nochmal auf mich zu. Das Fax mit den Testergebnissen ist gerade eingetroffen. Und schon ergießt sich über mich eine Flut von Fachbegriffen. Wenn ich die Äußerungen richtig verstanden habe, sind die entarteten Zellen deutlich auf dem Rückzug. Oder hatte er gesagt, dass keine Krebszellen mehr nachweisbar waren? Ich werde mir das bei Gelegenheit noch genauer erklären lassen. Die weniger erfreuliche Nachricht ist, dass auch die gesunden Zellen nicht mehr besonders fit sind. Jedenfalls kann man mit dem Ergebnis ganz zufrieden sein, das war wohl der Tenor der Aussage. Für mich heißt es also Gott danken. Halleluja, er hilft durch die Hand der Ärzte. Die vielen Gebete werden erhört.
Jetzt ist Halbzeit. Die Behandlung hat angeschlagen und geht weiter. Die drei Blöcke Chemo, die ich bekommen habe, werden wiederholt. Damit soll sichergestellt werden, dass auch die letzte der kranken Zellen abgetötet wird. Würde auch nur eine Krebszelle im teilungsfähigen Zustand überleben, bedeutete das einen Rückfall. In kurzer Zeit würden sie die Zellen wieder vermehren. Groß wäre dann die Gefahr, dass diese neuen Krebszellen resistent sind gegen die Chemotherapie. So werde ich mich bald wieder hier einfinden für die restlichen Behandlungen. Bleibt zu hoffen, dass Gott meinem Körper und Seele die Kraft gibt, dem Gift Stand zu halten - und dass sich keine entartete Zelle auf Dauer vor den Medikamenten verstecken kann.
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