Dienstag, 31. August 2010

Mit 8 Monaten kommt Bewegung in's Leben


Kaum zu glauben, was unsere Zwillinge plötzlich alles anstellen können. Noch Anfang August habe ich mit Sohnemann geübt, wie man sich vom Bauch auf den Rücken dreht. Er beherrschte nur die Drehung auf den Bauch und fing kläglich an zu weinen, wenn der Kopf zu schwer wurde. Inzwischen haben beide entschieden, dass herumliegen langweilig ist. Und sich die Welt zu erobern durch hin und her rollen, ist auch ein mühsames Geschäft. Also hat sich Töchterchen einfach mal hingesetzt. Meine Frau unterstellt ihr für diesen mutigen Schritt einen ganz weiblichen Drang: Sie war “wunderfitzig” und wollte den Inhalt einer Kiste inspizieren, die unter dem Tisch stand. Dazu hat sie sich hoch gezogen. Der Bub macht sich nicht so viel Mühe - er beobachtet schlichtweg, was Schwesterherz vorführt und macht es nach. Zwei Tage später konnte er sich auch hinsetzen und bald sah das so natürlich aus, als ob die beiden die nötigen Bewegungen schon mit in die Wiege bekommen hätten. Krabbeln ist auf einmal auch kein Problem mehr. Bisher mündeten alle Bemühungen zum Krabbeln im Rückwärtsgang und brachten die Kleinen nie dorthin, wo es wirklich interessant war.

Töchterchen späht mit Vorliebe herrenlose Schuhe oder Sandalen aus - und hast du nicht gesehen, geht's vorwärts zum Ziel der Begierde. Und wieder dauerte es nur wenige Tage bis der Bruder auch diesen Trick bei der Schwester gelernt hatte. Ein Bekannter bemerkte dazu tiefsinnig, dass Männer diese Fähigkeit bis in's Alter pflegen.

Jetzt gibt’s am Esstisch eine richtige Familienrunde. Die Zwillinge sitzen in ihren Hochstühlen und schauen neugierig zu, was Mama und Papa auf dem Tisch mit Messer und Gabel anstellen. Was im Einzugsbereich der Babyfinger passiert, hat freilich weniger mit Esskultur zu tun. Nach der ersten Mahlzeit im Hochstuhl war eine Tasse weniger in den Schrank zu räumen und ein Teller landete zudem im Müll. Und das obwohl das Kindergeschirr den Anspruch hatte, unkaputtbar zu sein. Trotzdem gab es leuchtende Kinderaugen ohne jede Spur von Reue. Nur Mama war “not amused”.

Wer kann sich bei so viel Lebensfreude und Entdeckerdrang vorstellen, dass Gott vor haben könnte, den Papa demnächst abzuberufen aus diesem Leben? Die Chemotherapie muss ja erfolgreich verlaufen. Die Kleinen brauchen doch auch einen Papa - besonders, wenn sie in den nächsten Jahren noch so viel mehr entdecken und lernen werden. Ja, Gott wäre ungerecht, wenn er jetzt die Familie durch Krebs und einen Todesfall auseinander reißen würde. So urteilen ganz menschliche Gedanken und ich würde mich der Vorstellung ja gar zu gern anschließen. Man könnte Gott sozusagen erpressen und sagen: “Du hast uns die Kinder geschenkt. Jetzt musst du mich auch wieder gesund werden lassen.”

Doch Gott kann anders. Oder sollte man besser sagen: Gott lässt auch schlimme Dinge geschehen. Erst kürzlich erreichte uns die Nachricht von Bekannten, wo eine Mutter an Brustkrebs erkrankte und erlag. Am Grab stand ihr dreijähriges Kind. Krankheiten reißen Familien heute nicht mehr so oft auseinander wie das früher an der Tagesordnung war. Doch jeder kennt wohl Nachrichten von tödlichen Unfällen, die Kinder als Halbwaisen zurück gelassen haben. Wie können wir diese Wege Gottes verstehen? Mitunter verstehen wir erst im Rückblick und Jahre später, was Gott durch Schicksalsschläge bewirkt hat. Doch nicht immer erschließt sich Gottes Handeln unserer Logik. Der Prophet Jesaja erinnert (Jes 55, 8-9): Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

Donnerstag, 26. August 2010

Von Blutkonserven und Kindersitzen

Im Warteraum der Onkologischen Ambulanz in Sindelfingen treffen sich Bekannte. Entweder man hat mal auf dem Flur der Krebsstation mit den Leuten geredet und Erfahrungen ausgetauscht oder sogar einmal ein Zimmer geteilt. Irgendwann kommen sie alle wieder her für Blutkontrollen oder ambulante Chemos. Und wieder werden die neuesten Wendungen der Leidensgeschichten ausgetauscht. Langsam habe ich keine Lust mehr, meine Geschichte erneut zu erzählen oder mir eine Geschichte anzuhören und verkrieche mich hinter mein Buch.

Dann bin ich dran. Die Blutentnahme dauert keine fünf Minuten und dank meiner PICC-Line werde ich nicht einmal gestochen. Dann heißt es wieder eine halbe Stunde warten bis die Ergebnisse aus dem Labor da sind. Als die Schwester mit dem Blatt mit den Ergebnissen kommt, gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Ja, meine Blutwerte steigen wieder, das Tief ist überwunden und ich darf nach Hause fahren für die nächsten anderthalb Wochen. Allerdings dümpeln die roten Blutkörperchen noch auf so niedrigem Niveau, dass der Arzt eine erneute Bluttransfusion angeordnet hat. Also geht es nach Hause, aber nicht gleich. Ich schicke den Taxifahrer nach Hause und vereinbare mit Claudia, dass sie mich heute Nachmittag in der Klinik abholt mit gepacktem Auto, sodass wir dann gleich weiter fahren können. In der Kantine hole ich mir noch schnell einen Bissen für das Mittagessen und dann sitze ich wieder und warte. Inzwischen sind meine Leidensgenossen alle verschwunden und ich bin mit dem riesigen TV-Bildschirm an der Wand allein - und mit meinem Buch. Nach ganzen zwei Stunden kommen die Blutkonserven endlich an. Und dann dauert es nochmal fast drei Stunden, bis die zähe rote Flüssigkeit in meine Adern gelaufen ist.

Kaum bin ich raus aus der Klinik, kommt Claudia um die Ecke gebraust, das Auto fast bis unter das Dach vollgepackt. Wir fahren zunächst einen Baby-Ausstatter an in der Nähe von Ulm. Es geht um Kindersitze. Unsere Beiden recken ihre Köpfe inzwischen verdächtig über die Babyschale hinaus, wodurch die Zeiten der bequemen “Verpackung” der Babies mit Tragegriff zu Ende gehen. Ich lerne kräftig dazu in Sachen Kindersitze der Klassen eins bis drei und Sicherheitsstandards und ab welchem Gewicht und Körpergröße welche Sitze dran sind usw. Unglaublich, was man sich heutzutage für Festungen auf die Rücksitzbank schnallt, damit die Kinder mit gutem Gewissen mitgenommen werden können. Da fühlt man sich an Bilder von der NASA erinnert. Ob die Industrie hier Geld macht mit den Sorgen der Eltern und immer neue und teurere Modelle in den Markt drückt? Ob es demnächst auch Baby-Airbags geben wird? Immerhin zeigt uns der freundliche Händler auch ein simpleres aber - wie er sagt - völlig veraltetes Modell. Er kann den Sitz nicht empfehlen - klar. Andererseits ist in diesen Sitzen auch eine ganze Generation von Kindern Auto gefahren. Kann man auch hier sagen: Weniger ist mehr? Gut, wir danken herzlich für die Beratung, sind unentschieden und verabschieden uns. Claudia, wird ihre neuen Einblicke bei der Suche im Internet zur Anwendung bringen...

Die letzten 10 Kilometer bis nach Hause fahren wir mit schreienden Kindern auf dem Rücksitz. Hoffentlich hat von den Nachbarn keiner zugehört, als wir die übermüdeten Kleinen schnell in die Wohnung tragen. Endlich mal wieder zu Hause im Allgäu - so Gott will sogar für mehr als eine Woche.

Montag, 23. August 2010

Fahrkarte gesperrt

Heute gab es eine kleine Enttäuschung bei der Kontrolle der Blutwerte in der Klinik in Sindelfingen. Wir hatten gehofft, dass wir heute losfahren können in Richtung Wangen. Das würde zwei großartige Wochen zu Hause ergeben. Doch der Arzt schüttelte nach fast zwei Stunden warten auf die Ergebnisse aus dem Labor bedenklich den Kopf. Der Wert für die Thrombozyten liegt so niedrig, dass er auf keinen Fall weiter fallen darf. Sonst besteht akutes Risiko von unkontrollierten Blutungen. Auch andere Werte sind nicht gerade berühmt wenn auch nicht auf alarmierendem Niveau. Also muss ich in der Nähe der Klinik bleiben und am Donnerstag zur nächsten Kontrolle erscheinen. Bleibt zu hoffen, dass sich dann die Werte gebessert haben und sich wieder auf dem aufsteigenden Ast befinden.

Nach den ersten zwei Blöcken Chemo hatten sich die Werte schneller erholt. Die Chemos verlangen wohl ihren Tribut. Hoffen auf Donnerstag und auf erholsame Tage im Schwarzwald bis dahin.

Montag, 16. August 2010

Halbzeit

Die Zeit bis zur Visite vertreibe ich mir mit “Exodus” von Leon Uris. Meine Frau hat mir eine uralte Paperback-Ausgabe mitgebracht, in der noch der Mädchenname meiner Schwiegermutter steht. Zuvor habe ich diesmal schon meine Tasche gepackt. Die Entlassung muss kommen, auch wenn ich mich richtig schlapp und krank fühle. So jedenfalls lief es nach den vorhergehenden Blöcken Chemo.

Am Freitag gab es ein Malheur mit meiner PICC-Line, dem Katheter, durch den die Infusionen direkt in die Vene geleitet werden. Man hatte mir vorsorglich eine Blutkonserve mit roten Blutkörperchen gegeben, weil sich da bereits Komplikationen ankündigten. Ich war wohl so infusionsmüde, dass ich nicht darauf geachtet hatte, wann die letzten Tropfen aus der Konserve getropft waren. Als die Schwester kam, war es schon zu spät. Das Blut im Schlauch war geronnen und damit der Katheter verstopft. Der eilig herbeigerufene diensthabende Arzt gab sich viel Mühe, doch der Zugang blieb verstopft. Was soll das werden? Morgen stehen noch vier Infusionen auf dem Programm. Ein Anruf beim Oberarzt brachte dann zumindest einen Lösungsweg. Er spritzte ein blutlösendes Medikament in den haardünnen Schlauch so gut es ging, machte ihn dicht und legte mir am anderen Arm einen temporären Zugang für den restlichen Liter Kochsalzlösung, der auch noch in meine Adern musste. Am Sonnabend früh kam der Oberarzt persönlich und löste die Verstopfung mit einigen gezielten Handgriffen. Na, jedenfalls brauchte man nicht die Kanalreinigung zu rufen.

Am Sonnabend Abend gab es Besuch aus der Heimat. Pastor Kubitschek war unterwegs zur Vertretung in Süddeutschland und feierte einen Abendmahlsgottesdienst. Wie gut, dass es im Krankenhaus nicht nur giftige Medikamente sondern auch geistliche Nahrung gibt.

Am Sonntag stand dann einfach nichts mehr auf dem Programm, sodass ich mich frage, warum man mich nicht nach Hause lässt. Man will wohl die Blutkontrolle am Montag abwarten, um zu sehen, ob sich die Nebenwirkungen im erträglichen Rahmen halten. Am Sonntag fehlten die kleinen Tabletten mit dem kreuzförmigen Schlitz in meinem Medikamentenbecher. Das Geheimnis dieser Tabletten habe ich noch nicht ganz gelüftet. Se sorgen unter anderem dafür, dass ich mich während der Chemo-Woche aktiv und munter fühle. Ohne das Aufputschmittel setzen Schwäche und Trägheit ein.

Die Visite heute am Montag kommt spät. Die Ergebnisse der Knochenmarkspunktion vom vorigen Montag sind immer noch nicht da. Und ja, ich darf nach Hause. Dann geht es noch um eine mögliche Entnahme von Stammzellen für eine Selbstspende. Damit sind die Ärzte auch schon wieder raus aus meinem Zimmer. Jetzt muss ich auf den Arztbrief warten. Das kann dauern. Diesmal liege ich nämlich im ersten Zimmer vorn und die Visite hat bei mir gerade erst angefangen. Schließlich halte ich nach dem Mittagessen den ersehnten Entlassungsbrief in der Hand noch bevor die Ärzte zum Essen gehen. Am 6. September muss ich erst wieder auf die Station kommen für den nächsten Block Chemo. Das gibt drei Wochen Urlaub und hoffentlich zwei davon im Allgäu. Schnell die Tasche fertig packen ist angesagt. Dann muss ich noch in das Erdgeschoss zur Ambulanz, weil man mir dort die Rezepte für die nötigen Medikamente zu Hause ausstellt.

In der Ambulanz kommt der Oberarzt nochmal auf mich zu. Das Fax mit den Testergebnissen ist gerade eingetroffen. Und schon ergießt sich über mich eine Flut von Fachbegriffen. Wenn ich die Äußerungen richtig verstanden habe, sind die entarteten Zellen deutlich auf dem Rückzug. Oder hatte er gesagt, dass keine Krebszellen mehr nachweisbar waren? Ich werde mir das bei Gelegenheit noch genauer erklären lassen. Die weniger erfreuliche Nachricht ist, dass auch die gesunden Zellen nicht mehr besonders fit sind. Jedenfalls kann man mit dem Ergebnis ganz zufrieden sein, das war wohl der Tenor der Aussage. Für mich heißt es also Gott danken. Halleluja, er hilft durch die Hand der Ärzte. Die vielen Gebete werden erhört.

Jetzt ist Halbzeit. Die Behandlung hat angeschlagen und geht weiter. Die drei Blöcke Chemo, die ich bekommen habe, werden wiederholt. Damit soll sichergestellt werden, dass auch die letzte der kranken Zellen abgetötet wird. Würde auch nur eine Krebszelle im teilungsfähigen Zustand überleben, bedeutete das einen Rückfall. In kurzer Zeit würden sie die Zellen wieder vermehren. Groß wäre dann die Gefahr, dass diese neuen Krebszellen resistent sind gegen die Chemotherapie. So werde ich mich bald wieder hier einfinden für die restlichen Behandlungen. Bleibt zu hoffen, dass Gott meinem Körper und Seele die Kraft gibt, dem Gift Stand zu halten - und dass sich keine entartete Zelle auf Dauer vor den Medikamenten verstecken kann.

Mittwoch, 11. August 2010

Doppelzimmer

Für diese Woche Chemo klappt es nicht mit einem Einzelzimmer. Ich werde mich also auf einen Bettnachbarn einstellen und mein Schicksal ein Stück weit teilen und an eines anderen Schicksal teilnehmen. Mir fällt auf, dass die Gideon-Bibel im Halter an der Wand fehlt. Hat da tatsächlich jemand nach der Bibel gegriffen, die hier in jedem Zimmer neben der Eingangstür angebracht ist? Ja, tatsächlich, die Bibel liegt auf dem Nachttisch meines Zimmergenossen zusammen mit einem Losungsbuch. Am nächsten Morgen liest er Losung und Lehrtext und als ich ihn darauf anspreche, liest er mir vor und auch noch aus der Bibel den Lesungsabschnitt für den Tag, obwohl er gar nicht wissen konnte, ob mir das recht ist. Mir war es recht und ich muss eingestehen, dass ich den Mut bisher nicht aufgebracht hatte.

Im Verlauf der Woche erfahre ich dann eine Lebensgeschichte. Wie immer, wenn Achtzigjährige erzählen, hat ihre Geschichte ihren Mittelpunkt in den fünfziger Jahren. Was dann noch kam, erscheint nur noch als Nachsatz. Er hat viel Grund, dankbar zu sein. Sechs Kinder hat ihnen Gott geschenkt und zusammen mit Nachbarskindern tobten nicht selten mehr als ein Dutzend Kinder auf ihrem Hof. So gut ging es ihnen damals. Den Kindern geht es heute auch gut. Sie haben studiert, sind in höhere Positionen aufgestiegen und jetten kreuz und quer durch Europa. Von sechs Kindern hat er vier Enkel. Wohlstand und Glück wird in der nächsten Generation offenbar anders verstanden.

Eines Morgens steht für die Bibellese die Geschichte an von dem Blindgeborenen, den Jesus heilt am Wegesrand, damit die Werke Gottes offenbar werden. Resigniert bemerkt mein Nachbar: “Wenn Jesus heute da wäre, könnte er uns auch heilen.” Am Schreibtisch hätte ich schnell einige Antworten gehabt. Jesus ist auch heute da. Er hat doch versprochen: “Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!” Und Jesus heilt auch heute. Er benutzt die Kunst der Ärzte. Und wenn er uns eine Krankheit zum Tode schickt, dann weiß er auch warum. Dann dürfen wir uns auf das ewige Erbe für seine Kinder freuen... Aus dem Krankenhausbett heraus kommen die Antworten nicht mehr so prompt wie am Schreibtisch. Warum soll gerade meine Lebenszeit schon abgelaufen sein? Und im höheren Alter stellt sich offenbar die Frage: Wenn ich bald sterben muss, warum gerade an Leukämie und nach langem Aufenthalt in den Kliniken? Der Glauben sagt: Gott gibt auch heute und er nimmt, damit die Werke des Herrn offenbar werden. Nur fällt es nicht leicht zu erkennen, auf welche Weise die Ehre Gottes in Krankheit, Verfall und Leid offenbar werden.

Am Freitag wird mein “Raumteiler” entlassen. Schon am Nachmittag schieben die Schwestern ein neues zweites Bett in mein Zimmer. Ich bekomme einen neuen Nachbarn. Bei ihm entpuppte sich ein Pickel an der Nase als ein bösartiges Geschwür. Die Hälfte der Nase musste weg. Zwar hat man ihm eine Art Prothese an die Nase gesetzt, aber das ist nur ein schwacher Ersatz. Die Gefühle sind wohl kaum nachzuempfinden, wenn das Gesicht dermaßen entstellt wird. Da ist der Verlust der Haarpracht vergleichsweise leicht zu verschmerzen. Die Nase wächst nicht nach. Was mich noch trauriger macht ist die Tatsache, dass mein neuer Nachbar sich in seiner Not offenbar nicht an seinen Gott klammern kann. Die Ärzte machen ihm wenig Hoffnung. Als nächstes zeigen die Lymphknoten am Hals bösartigen Befall. Bestrahlung, Chemotherapie und ... warten, bis der Krebs siegen wird. Wer weiß hier noch Trost zu spenden?

Montag, 9. August 2010

Knochenmarksstanze

So gut und gesund wie heute habe ich mich lange nicht gefühlt. Die Woche im Allgäu war eine gute Kur. Doch so geht es nicht weiter. Um zehn soll ich in der Klinik sein. Der nächste Block Chemotherapie steht an. Ich weiß schon etwa, was das Ergebnis sein wird. Nach dieser Woche mit einer Kaskade von giftigen Medikamenten werde ich kränklich entlassen werden. Da hilft nur, einen klaren Kopf zu behalten und sich vor Augen zu führen, dass es ja darum geht, den Krebszellen in meinem Blut bzw. im Lymphsystem keine Zeit zu lassen für erneutes Wachstum.

Auf Station eröffnet mir der Arzt, dass als erstes eine Knochenmarksstanze auf dem Programm steht. Der Stationsarzt bringt wieder einen jungen Arzt zum Anlernen mit. Da muss ich mal wieder herhalten als Trainingspatient. Gut, ich will auch diesem Arzt Vertrauen entgegen bringen; oder sollte ich sagen: jemand muss ihm eine Chance geben. Aus dem Beckenkamm wird eine Probe entnommen, die im Labor dann Aufschluss geben wird über den Erfolg der Behandlung. Zum Glück habe ich hinten keine Augen und kann nicht sehen, mit welcher Art von Werkzeugen die beiden Ärzte losstanzen. Nach vollbrachter Arbeit fragt mich der junge Arzt stolz, ob ich das Ergebnis sehen möchte. Nein, das möchte ich nicht. Den Eindruck hebe ich mir auf für den Tag, an dem der letzte Eingriff dieser Art durchgeführt wird.

Auf dem Behandlungsplan für meine Chemotherapie fand sich ein Diagramm, in dem die einzelnen Blöcke der Behandlung aufgelistet waren. Diese Knochenmarksuntersuchung erschien dort zwischen den Blöcken als Weggabelung. Entweder es geht weiter mit den nächsten Blöcken oder das Ergebnis weist den Weg “Therapieversagen”. In diesem Fall hätten die Ärzte kaum noch Möglichkeiten zum Eingreifen, so wurde mir erläutert. Sollte dieser Test unbefriedigende Resultate an den Tag bringen, folgt Palliativmedizin. Dann ginge es nur noch darum, die unaufhaltsam fortschreitende Krankheit mit schmerzlindernden Maßnahmen zu begleiten. Bleibt also auf ein gutes Ergebnis zu hoffen. Das wird allerdings frühestens in einer Woche eintreffen.

Sonntag, 8. August 2010

kurzer Besuch im Allgäu

- nach 10 Wochen konnte ich zum ersten Mal wieder richtig zu Hause in unserer Wohnung im Allgäu sein.
- wir haben eine Woche "Urlaub" genossen.