Dienstag, 11. Januar 2011

Krebs in Gedanken

Etwas Nachtschweiß oder ein Tag nicht ganz so gut in Form wie sonst - und schon kommen trübe Gedanken. Bin ich den Krebs wirklich los? Zwar hatte der Arzt im Krankenhaus mich nach der Chemotherapie entlassen mit der Bemerkung: “Wir haben Sie geheilt!” Es hatte einige Zeit gedauert, das zu glauben. Zuerst lag es an der miserablen allgemeinen Verfassung. Jetzt kommt mit zunehmender Besserung langsam das Vertrauen in die alte Maschine, meinen Körper zurück. Doch die Zweifel kommen nicht zur Ruhe.
Da habe ich einen Knoten am Unterkiefer ertastet. Wahrscheinlich nichts besonderes. Doch ich beobachte mich dabei, wie ich immer wieder diese Stelle kontrolliere. Wächst etwas? Verschwindet das Ding wieder? Immerhin hatte ich mal einen Zimmernachbarn, bei dem der “Nachschlag” an Krebs im Unterkiefer wieder aufgetaucht war.

Mein nächster Arzttermin liegt erst Mitte Februar. Aber ich muss sowieso mal in die Onkologie. Die netten Damen von der Versicherung haben ein Papierchen für unauffindbar erklärt. Das muss ich neu ausstellen lassen. Bei der Gelegenheit frage ich nach, was von dem Knoten zu halten ist und bekomme nicht die erwartete Antwort. “Ach, das kann alles mögliche sein, machen Sie sich da mal keine Gedanken!” Die Antwort beginnt in der Art, geht aber anders weiter. “Das kann alles mögliche sein - auch ein neues Lymphom. Das müssen wir beobachten und ggf. rausschneiden und untersuchen lassen.” Ups! Das klingt nicht gerade beruhigend.

Auf dem Weg nach Hause versuche ich meine Gelassenheit wieder zu finden. Die diensthabende Ärztin kam nicht in das Computersystem rein. So sassen wir gemeinsam vor ihrem Bildschirm und warteten auf das Ende der Sanduhr. Nach einigen Minuten fragte sie mich kleinlaut nach meiner Diagnose und warum ich hier in Behandlung bin. Mit Computer hat sie alle Unterlagen griffbereit. Ohne den Rechner jedoch steht sie im Nebel. Folglich konnte sie mir gar nichts verbindlich sagen. Also sollte ich ihren Worten nicht zu viel Gewicht beimessen. Sie hat ja nur versucht, das Gesicht zu wahren trotz fehlender Anzeige meiner Kartei. Es heißt in jedem Fall abwarten, was die nächste Untersuchung des Knochenmarks bringt.

Jedenfalls ist der Krebs noch da - in meinem Kopf. Nein, damit ist kein Hirntumor gemeint. Der Krebs lungert noch in den Gedanken herum und kann da ganz schnell neue Tumore ersinnen. Ich lese gerade “Krebs - eine Nacherzählung” von W. Schneyder. Er erzählt die Geschichte vom Krebs seiner Frau und wie sie das letzte Jahr erlebt haben. Der berichtet auch von “Gehirn-Krebs”, einer Art Krebs, die man nicht so schnell aus den Gedanken entfernen kann. Was tut man gegen solchen Gedanken-Krebs? Vielleicht hilft es, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Vielleicht wäre es besser, das ganze Thema aus den Gedanken zu verbannen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Das beste ist wohl, alles in Gottes Hand zu legen. Bei ihm können auch die trüben Gedanken zur Ruhe kommen.

Freitag, 7. Januar 2011

Gesundes Neues Jahr?

Der Besuch ist abgereist. Der Weihnachtsschmuck wird verpackt. Die Zweige unseres Weihnachtsbaums dienen zum Anheizen. Der Weihnachtstrubel ist vorbei. Das neue Jahr hat begonnen.

Es liegt nichts an. Im Terminkalender herrscht gähnende Leere. Und ich genieße das. Das ist seltsam. Zeigt sich so das neue Lebensgefühl nach einer noch nicht ganz überstandenen Krankheit? Keine Sehnsucht nach Trubel.  Kein Tatendrang. Ich genieße einfach die Ruhe. Da machen sich die Narben der Chemotherapie bemerkbar.
Der Zustand wird noch ein Vierteljahr anhalten, sagen die Ärzte. So lange noch muss ich rechnen, bis ich wieder an das Arbeitsleben denken kann. Die Formel lautet ganz einfach: für die Rekonvaleszenz muss so viel Zeit eingeplant werden, wie die  Chemotherapie in Anspruch genommen hat.

Was werde ich tun bis zu Ostern? Nun, mir wird die Zimmerdecke nicht auf den Kopf fallen. Mein Schreibtisch steht ja noch da und auf dem türmen sich Stapel von ungelesenen Zeitschriften und Büchern. Ich könnte mich mal so richtig in die Fachliteratur vertiefen. Doch bisher fallen die Augen zu schnell zu beim Lesen. Dann beschäftige ich mich mit meinen Hobbys, die zum guten Teil auf dem Bildschirm meines Computers ablaufen. Meine Frau mahnt, ich soll endlich mal die Lücken am Anfang meines Blogs auffüllen. Entwürfe habe ich noch einige auf meinem Computer. Aber wird noch jemand zurück gehen an den Anfang meines Blogs und dort nachlesen?

Zum neuen Jahr hat man mir Gesundheit gewünscht: “Vor allem Gesundheit, das ist das Wichtigste!” Einerseits hat das vergangene Jahr schmerzlich daran erinnert, wie viel Wahrheit in diesem Wunsch steckt. Was nützen Erfolg, Wohlstand, vielleicht so gar der eine oder andere Luxus? Eine entartete Zelle im Blut reicht. Wenn das Immunsystem diese nicht auszuschalten vermag, dann kann auch das glücklichste oder erfolgreichste Leben schnell zu Ende gehen.

So bringt “Vor allem Gesundheit - das ist das Wichtigste!” andererseits trübe Gedanken. Dieser Wunsch kann so schnell ins Leere laufen wie die vielen guten Vorsätze für das neue Jahr. Wenn Gesundheit vor allem geht, dann fährt mein Leben bereits auf dem Abstellgleis. Meine Gesundheit ist ruiniert. Gut, durch die Kunst der Ärzte habe ich Aufschub bekommen - vielleicht 15 Jahre, vielleicht noch länger. Womöglich reicht die Verlängerung auch nur für wenige Jahre. Doch eins steht fest. “We are all terminal! - Wir sind alle unheilbar krank.” So wird “Dr. Tod” Jack Kevorkian zitiert - ein amerikanischer Arzt, der für aktive Sterbehilfe eintritt und sich wiederholt vor Gericht verantworten musste. In dem einen muss man ihm Recht geben. Wir alle sind unheilbar Kranke. Die Sterberate liegt bei genau 100%. Mit dem Blick auf die Gesundheit wird das neue Jahr nicht mehr als nur eine weitere Etappe im Kampf, das Unvermeidbare hinauszuzögern. “Vor allem Gesundheit!” - das ist ein Rezept zum verzweifeln.

Es muss mehr geben. Da muss es ein Lebensziel geben, das von der persönlichen Gesundheit nicht abhängt. Künstler schaffen für den Ruhm, den die Nachwelt ihren Werken zollen wird. Politiker kämpfen für ihren Platz in den Geschichtsbüchern. Aber ich, was treibt mich voran? Es muss eine Hoffnung geben, die sich von dem sicheren Ende nicht trüben lässt. Es muss eine Hoffnung geben über die Gebrechlichkeit dieses Lebens hinaus. Der, der “tetelestai” ausgerufen hat, gibt diese Hoffnung. Vor allem Hoffnung! - das wünsche ich allen für 2011.