Als neulich eine Bekannte anrief und sich nach meinem Befinden erkundigte, berichtete ich erst von den Kindern und wie sie laufen gelernt haben. Dann erzähle ich von mir. Ich habe Zeit, meinen Hobbys zu frönen. Meinen Computer habe ich umgebaut. Jetzt ist das Gerät auf dem neuesten Stand und besitzt genügend Muskeln, um zügig Videos schneiden zu können. Ehe ich mich noch mehr in Einzelheiten verlieren kann, kommt von der anderen Seite die Bemerkung, dass ich von meiner Krankheit und Genesung offenbar nichts mehr zu erzählen habe.
In der Tat, Krebs tritt in den Hintergrund. In den letzten Wochen ist ein Alltag eingezogen, der kaum noch an die Krankheit erinnert. Vormittags sitze ich am Schreibtisch. Da ich den normalen Dienst noch nicht wieder aufnehmen kann, suche ich mir nach Lust und Laune heraus, was ich mir vornehmen will. Richtig arbeiten ist noch kaum möglich. Dazu fehlt die Konzentrationsfähigkeit. Ganz ohne Termindruck kann ich jedoch tun, was mir Freude macht - und was mich davor bewahrt, ganz einzurosten. Den Nachmittag widme ich dann entweder den Kindern oder nehme mir Arbeit in Haus und Garage vor. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich bei dem Versuch ertappe, den Gedanken an die Krankheit auszublenden. Krebs darf jetzt kein Thema mehr sein.
Neulich sind wir auf der Autobahn in Sindelfingen vorbei gefahren. Sofort waren alle Erinnerungen wieder da. Sollten wir einen kurzen Abstecher machen hoch zum Krankenhaus? Nein, danke - dazu habe ich derzeit keine Lust. Ich wüsste keinen Grund, warum ich die Erinnerung an die Chemo-Therapie pflegen sollte.
Und doch bleibt Krebs ein Thema. In der kommenden Woche stehen zwei Arzttermine an. Jetzt kommt die Kontroll-Untersuchung, die eigentlich für Mitte Februar geplant war. Alle sagen mir: “Mach dir keine Gedanken! Du musst einfach davon ausgehen, dass keine neuen Krebszellen wachsen.” Ja, davon sollte ich ausgehen...
Noch auf eine andere Art und Weise bleibt Krebs ein Thema. Am Freitag trifft sich in Lindau eine Selbsthilfegruppe für Lymphomkranke. Da bin ich eingeladen. Schon zweimal war ich dort. Am Anfang hatte ich Zweifel. Krebs wird dort ganz sicher ein Thema sein. Will ich das wirklich? Wichtig sind solche Treffen für Leute mit chronischen Lymphomen und Leukämien. Bei diesen Diagnosen bleibt Krebs ein Dauer-Thema. Die Betroffenen leben von Medikamenten und von der Hoffnung, dass der Krebs auf ein erträgliches Maß beschränkt bleibt. Aber ich? Wenn es stimmt, dass ich geheilt bin, brauche ich doch eher den Abstand von alledem.
Nachdem meine eigene Krankheit immer weniger ein Thema bildet, kommen andere in den Blick. Da gibt es so viele, die selbst mit Krebs zu kämpfen haben oder in der Familie eine Tragödie erleben. Mit der eigenen Erfahrung kann ich jetzt viel besser mitfühlen und auch mitreden. Hier tut sich mir ein anderer Blick auf meine eigene Erfahrung auf. Vielleicht kann ich anderen helfen, die sich mit dem Problem Krebs konfrontiert sehen. Freilich wäre es verlockend, wenn ich zeigen könnte: Seht, Krebs kann geheilt werden. Krebs stellt nicht mehr die ultimative Bedrohung für das Leben dar. Die Medizin gibt Hoffnung. Doch ich weiß ja, dass Krebs nicht gleich Krebs ist. Gegen viele Krebserkrankungen hat auch heute die Medizin kein heilendes Mittel zur Verfügung. Doch es gibt eine Hoffnung. Die reicht über die Krankheiten dieses Lebens hinaus. Diese Hoffnung ruht auf dem, der im sterben ausrief: “Tetelestai!” Mit dieser Hoffnung kann Krebs getrost ein Thema bleiben.
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