Montag, 4. Oktober 2010

Fachchinesisch

Rituximab, Vincristin, Methotrexat, Dexamethason, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Cytarabin - so liest sich im Arztbrief die Liste der Medikamente, die mir im Verlauf der letzten Woche in die Adern gepumpt oder in das Gehirnwasser gespritzt wurden. Beim Reigen so klangvoller Namen kann man ja nicht anders als gesund werden. Nunja, die meisten dieser Medikamente - oder sollte ich “Gifte” sagen - gehören zur Gruppe der Zytostatika. Was sie tun, kann der Arzt offenbar dem Laien nicht wirklich erklären. Wer genauer nachfragt, bekommt Hinweise auf die Mechanismen in den Zellen, die bei der Zellteilung die Erbinformation (DNA) verdoppeln und an die neu entstehenden Zellen weitergeben. Die Medikamente der Chemotherapie greifen an verschiedenen Stellen in diese Mechanismen ein, um die Verdopplung der DNA zu vereiteln und so die Zellteilung zu verpfuschen. Was übrig bleibt wird über die Nieren und den Gang zum Örtchen ausgeschieden. Um diese Ausscheidung am Laufen zu halten, gab es in der vergangenen Woche zudem noch literweise Infusionen mit Kochsalzlösung und Zuckerwasser. Der Cocktail von so vielen verschiedenen Medikamenten wird notwendig, weil die Krebszellen schlau sind. Einige entwickeln die Fähigkeit, die auf sie abgefeuerten tödlichen Gifte zu erkennen. Wie mir der Arzt sagte, bauen sie “Pumpen” an ihre Zellwände, die das Gift nach draußen befördern. Das gelernt und überlebt, werden die Zellen resistent - also unempfindlich gegen ein bestimmtes Mittel. Da die gelernte Information an die Tochterzellen weitergegeben wird, können sich ganze Stämme von Krebszellen bilden, denen eines der Mittel nichts mehr anhaben kann. Daher hilft zum Auslöschen der Krebszellen, wenn bald noch ein ganz anders geartetes Gift hinterherkommt, dass hoffentlich nicht auch entdeckt wird und doch zum Absterben der schlauen Krebszelle führt.

Dummerweise hören nicht nur die Krebszellen auf die Totenglocken der Zytostatika. Alle Körperzellen, die gerade wachsen, sind betroffen - auch die ganz normal wachsen sollen. Die Haare können nicht mehr weiter wachsen und fallen aus. Daran erkennt man ganz offensichtlich Chemo-Patienten. Aber auch Schleimhäute leiden unter dem Dauerbeschuss. Die Zunge wird taub und auch das beste Essen schmeckt wie Gummi mit Seife. Wenn es dumm kommt, bilden sich wunde, schmerzende Stellen im Mund und im Rachen. Dagegen hilft nur mehrmals täglich eine peinlich genaue Mundhygiene. Der Magen will nicht mehr und schickt die Kalorien retour. Auch die Darmschleimhäute bekommen ihr Teil und verweigern den Dienst. Die Fingerkuppen werden wund, sodass die Tastatur des Computers nur noch mit langen Fingernägeln bedient werden kann. Manchmal ziehen die Kuppen der Zehen nach, sodass man keine Schuhe mehr anziehen kann. Davor bin ich bisher allerdings verschont geblieben. All das sind für den Arzt kleine Wehwehchen und es gibt eine Spritze hier oder eine Salbe da und man kann sich trösten mit der Hoffnung, dass es in einer oder zwei Wochen wieder besser gehen wird.

Der eigentliche Ärger, den auch die Ärzte mit wachem Auge beobachten, kommt an anderer Stelle: Auch die Bildung neuer Blutzellen gerät aus dem Gleichgewicht, sodass es bald an weißen Blutkörperchen mangelt oder auch an den roten oder dass Blutplättchen fehlen und noch so einige andere Bestandteile einer gesunden Blutbildung. Das kann lebensbedrohlich werden. Das Immunsystem versagt seinen Dienst (die weißen Blutkörperchen), es kann zu unkontrollierten Blutungen kommen (die Blutplättchen) und das Atmen fällt schwer (die roten). Um diese Entwicklung zu begleiten und ggf. Gegenmaßnahmen einzuleiten, ruft man mich auch nach der Entlassung aus der Klinik zwei Mal in der Woche zur Blutkontrolle zurück ins Krankenhaus. Neulich las ich, dass es wohl bis zu einem halben Jahr dauern kann, bis sich all diese Verschiebungen wieder normalisiert haben.

Der weitverbreitete Zelltod im Körper nach einer Chemo-Behandlung bewirkt die allgemeine Kraft- und Mutlosigkeit, die die Chemotherapie zu einer Rosskur macht, die wohl nur zu ertragen ist mit der festen Hoffnung, dass Heilung am Ende der Behandlung steht. Ich kann gut verstehen, wenn Krebskranke Chemotherapien abbrechen oder ganz verweigern, wenn es doch keine Hoffnung auf Genesung gibt. Was ist schwerer zu ertragen: der schleichende Tod, den ein Tumor mit seinen Metastasen bringen kann oder eine Behandlung, die Schritt für Schritt auch das Lebenslicht ausbläst? Kommende Generationen werden möglicherweise zurückblicken auf die Chemotherapien unserer Zeit wie wir auf Aderlass und Blutegel im Mittelalter. Man wird vielleicht den Kopf schütteln und denken: “wussten die damals nicht, dass Krebs .....” Wer den Satz heute schon zutreffend zu Ende führen kann, dürfte ein Kandidat für den Nobelpreis sein.

Nach einer letzten Dosis Zytostatika ins Gehirnwasser werde ich entlassen. Zu Hause darf sich mein geschundener Körper erholen bis er reif ist für die nächste Chemo. Meine Frau hat mit den Kindern das Wochenende mit dem Tag der Deutschen Einheit als gute Schwäbin in Sachsen verbracht. Es trifft sich, dass sie gerade auf der Autobahn den Raum Stuttgart erreicht, als ich fertig bin für die Entlassung. So holt sie einen Ehemann aus dem Krankenhaus, dem es vor einer Woche noch recht gut ging und der jetzt wieder auf dem Zahnfleisch kriecht.

1 Kommentar:

  1. Sehr hilfreich die ganze Sache mal aufgetroeselt fuer den Laien dargeboten zu bekommen. Man hat ja sonst wirklich keinerlei Einblick, es sei denn, man ist selbst betroffen, oder ist vom Fach. Die Serie der Medis liest sich ja wirklich schauerlich.
    So hoffen wir nur, dass das alles in einigen Monaten aus dem Gedaechtnis verblasst und unwirkliche Vergangenheit wird fuer dich.

    Sehr gut vorstellen kann ich mir, dass man als Mensch an einer bestimmten Stelle einfach keine Ressourcen mentaler/emotionaler/koerperlicher Art mehr hat, den Kraftakt einer Chemo durchzustehen, wenn es daran geht, den ganzen Ziehauf ein zweites oder vielleicht gar drittes Mal ueber sich ergehen zu lassen. Vor einige vielen Jahren, als eine Klassenkameradin mit Leukaemie in der Klinik war, und ich sie ab und an dort besuchte, da war eine Frau mit in ihrem Zimmer, die "sich aufgegeben" hatte und nur noch auf's Ende wartete. Ich hatte damals keine Ahnung von nichts, und konnte nicht verstehen, wie man "einfach so" dann entscheidet, dass jetzt Schluss ist, obwohl sie fuer einen dritten Gang Chemo (die ersten beiden waren nicht erfolgreich gewesen) noch ca. 20%ige Chancen hatte, dass es endlich klappen koennte. JEtzt ist mir das wohl etwas klarer, warum das dann einfach mal so weit ist bei einem Patienten, nachdem man hier bei dir mal nachlesen kann, was das alles im Detail beinhaltet, durch so einen ordeal einer Chemo zu gehen.

    Danke dir, dass du dir die Zeit und Kraft nimmst, deine Fingerkuppen noch mehr wundzutippen.... Denn auf die Ferne ist es wirklich nicht anders moeglich, uns "ein Bild" zu machen.

    Wir beten fuer dich und euch. Der HERR ist mit dir, wodurch auch immer du gehst und gehen wirst. Das ist deine Gewissheit, die dich durch das alles hindurchtraegt. ER weiss um dein Leid und deine Schmerzen, und weiss auch, wozu das alles gut sein soll, because "we know that all things work together for good to those who love God".

    So much for today. Looking forward to hearing more from you!

    Hanna and family

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