Samstag, 31. Juli 2010
Oben ohne
Wer Krebs hat zeigt’s durch ein Bandana. Gemeint sind diese Kopftücher, die mit dem entsprechenden Aufdruck versehen auch von Bikern oder Rockern getragen werden. In Verbindung mit Krebs und Chemotherapie bekommen Bandanas einen ganz praktischen Nutzen, denn die Haare fallen aus. Darf alle Welt die Glatze sehen? Frauen bekommen von den Krankenkassen eine Perücke bezahlt. Männer dürfen auf die Gleichberechtigung verzichten und sich im Bandana-Binden üben.
Bei mir wurden vor zwei Wochen schon die Barthaare dünn. Nachdem nur noch die kurzen Stoppeln Standfestigkeit zeigten, griff ich zum Rasierer. Mein Kinn hatte ich die letzten zwanzig Jahre nicht gesehen. Als an der Oberlippe nur noch ausgewählte Barthaare übrig blieben und an gewisse Führungspersönlichkeiten zu erinnern begannen, musste im Krankenhaus auch der Oberlippenbart fallen. Bezüglich der restlichen Kopfbehaarung gab der Arzt einen unzweideutigen Tipp. “Am besten, Sie lassen die Haare gleich schneiden, die fallen sowieso aus.” Das kann man leichter sagen als tun. Sicherlich wusste ich, dass ich mich von meinen Haaren werde trennen müssen. Aber schwer war es doch.
Jetzt zu Hause zeigt sich immer deutlicher das ganze Ausmaß der Verwüstung. Beim Duschen halte ich Büschel von Haaren in der Hand. An Kämmen ist nicht mehr zu denken. Meine Frau klagt, dass überall Haare herumliegen. Da die Kinder eifrig auf dem Bauch den Fußboden erobern, ist diese “Herbststimmung” besonders unerfreulich. “Ich sollte dir die Haare ganz schneiden!” so höre ich dezent und mit einfühlsamer Geduld. Am Ende der Woche bin ich dann so weit. Auch im Spiegel wird sichtbar, was von hinten schon länger klar war: Meine Haarpracht erinnert an ein schlecht gerupftes Huhn. Ich füge mich in das Unausweichliche. Claudia greift zum Rasierer und ... ich brauche ein Bandana.
Zu meiner Überraschung bekomme ich Komplimente für meine neue Frisur. Jünger würde ich aussehen und wie ein Gelehrter. Bisher hatte sich das neue Körpergefühl, von dem in Krebs-Büchern die Rede ist, bei mir hauptsächlich gezeigt, wenn ich mich körperlich anstrengen wollte. Die erschlafften Muskeln bringen mich kaum die Treppe hoch. Jetzt muss ich mich daran gewöhnen, dass ich unter der Dusche nicht mit Haarewaschen beginnen kann. Immerhin ist mein Körper nicht von hässlichen Narben gezeichnet. Ich brauche mich auch nicht daran zu gewöhnen, dass ganze Körperteile amputiert wurden. Da ist er wieder der Trost: andere hat es schlimmer getroffen.
“Ich danke dir Herr, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke. Das erkennt meine Seele.” So singt der Psalmsänger und ich habe die Unterrichtskinder angeleitet diesen Lobgesang auf Gottes Schöpferkraft mit zu beten. Im Gedanken weiß ich, dass ich auch jetzt viel Grund habe, Gott zu danken - auch für den wunderbaren Körper, den er mir gegeben hat. Doch meine Seele erkennt auch etwas anderes. Der Körper ist dem Verfall unterworfen. Und es mischen sich die vorwurfsvollen Gedanken ein. Warum jetzt schon? Warum gerade ich?
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Hiermit kommentiere ich als Erster! Und ich finde das, was Du in Deinem skype-Status bekennst, als geeignetsten aller allerersten Kommentare: "Der HERR ist meine Zuversicht und Stärke". Albi
AntwortenLöschen