Diesmal empfing uns das Allgäu mit wunderbarem Sonnenschein. So ließen wir all das, was zu Hause zu erledigen war, zunächst liegen und machten uns auf in Richtung Bodensee. Ein Ausflug nach Bregenz brachte einiges an Standzeit in der Blechlawine, die sich auch in der Nachsaison noch um den Bodensee schlängelt. Wie gern wäre ich schnell mal in’s Wasser gesprungen. Doch für solche sportlichen Einlagen reicht die Kraft nicht und außerdem würde sich Baden auch in wärmeren Gewässern verbieten wegen meinem Anschluss am Oberarm. Von dort könnten Keime direkt in den Blutkreislauf gelangen. So beschränkten wir uns darauf, die Kinder Seeluft schnuppern zu lassen und sie zu Fütter - mit Blick auf das Wasser. Leider fehlt den Kleinen noch der Blick für die wunderschöne Landschaft.
Ein weiterer Ausflug führte uns dann auf den Pfänder. Für Ortsunkundige: so heißt der Bergrücken, der zwischen Lindau und Bregenz fast bis in den Bodensee hinein ragt. Von dort oben gibt es bei gutem Wetter einen wunderbaren Ausblick über den See und auf das Panorama der Berge. Bisher stellte ich mein Auto irgendwo in den Dörfern ab und dann ging es auf Schusters Rappen durch die Landschaft bis hin zum Aussichtspunkt an der Pfänderbahn. Diesmal stellten wir das Auto auf dem letzen öffentlichen Parkplatz ab und gingen nur die letzten Meter den Berg hoch. Natürlich, wie will man mit dem Kinderwagen anders vorankommen? Doch der Kinderwagen war nicht das einzige Hindernis für eine Wanderung. Mir geht es nach dem 4. Block Chemo zwar erstaunlich besser als nach den vorigen. Die Kräfte kommen scheinbar langsam wieder. Trotzdem zeigt sich gerade bei sportlichen Aktivitäten, wie sehr mein Aktionsradius eingeschränkt bleibt.
Auf dem kurzen Spaziergang zur Aussichtsplattform ergab sich eine Situation, die vielleicht typisch ist für das Leben mit der Krankheit. Meine Frau schob den Kinderwagen mit den Zwillingen den Berg hoch. Ich lief hinterher und versuchte trotz anfänglicher Atemnot doch Schritt zu halten. Von hinten kam in zügigem Schritt eine Gruppe Wanderfreunde mit Vereinsabzeichen und perfekter Ausrüstung herangestürmt. Und schon hörte ich spitze Bemerkungen, ob denn das der Papa sei, der da seine Frau den Kinderwagen schieben lässt. Offenbar hatten sie meinen Bandana nicht als Zeichen für den Kampf gegen den Krebs gedeutet und womöglich den etwas abgelebten Motorradrocker vermutet, der ohne seinen Feuerstuhl nicht mehr so recht voran kommt. Sollte ich die Witzelei einfach überhören und mich vielleicht still darüber ärgern? Ich griff mir den sportlichsten der alten Herren und schenkte ihm klaren Wein ein. “Es ist noch nicht so lange her, dass auch ich flink unterwegs war. Das ging bis der Arzt mir sagte, dass ich Krebs habe. Seither laufe ich etwas langsamer.” Damit war die ausgelassene Stimmung verflogen. Einer versuchte mich am Arm zu nehmen und unterzuhaken. Ein anderer bot meiner Frau an, beim Schieben zu helfen. Und dann haben sie schnell ihre Wanderstöcke geschwungen und sich auf und davon gemacht. O.k. das war womöglich gemein von mir. Hoffentlich habe ich den Herren vom Wanderverein nicht den Tag verdorben.
Trotzdem, darf man in der Öffentlichkeit von seiner Krankheit reden? Betroffene Gesichter sind die Folge und meist Sprachlosigkeit. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass wir als Betroffene deutlich besser mit der Krankheit umgehen können als die Gesunden. Krankheiten generell - und gerade diese potentiell tödliche - passen nicht in unsere erfolgsorientierte Zeit. Am Anfang hatte ich mich gewundert über die Rücksicht, die man mir teilweise entgegen brachte. “Werde jetzt erst mal wieder gesund. Ich will dich nicht stören.” Das waren Reaktionen auf Anrufe oder Einladungen. Und der Verdacht kommt auf, dass es sich bei dieser Art von Rücksichtnahme um Selbstschutz handelt. Man will nicht konfrontiert werden mit Krankheit und Verfall.
Sicherlich trifft das nicht nur auf Krebskranke zu. Die Einsamkeit in den Alten- und Pflegeheimen hat die gleichen Wurzeln. Einer meiner Zimmernachbarn berichtete mir von seinem Schwager, der seine Frau und das Baby nach einem Kaiserschnitt nur ein einziges Mal in der Klinik besucht hat. Er kann die Krankenhausluft nicht ertragen.
Wenn ich in der Klinik über die Station laufe, treffe ich auf jede Menge Leidensgenossen mit erheblichem Gesprächsbedarf. Man muss nur das Thema kurz antippen und bekommt eine lange Krankengeschichte erzählt. Ich kenne das schon vom Taxi-Fahren. Eigentlich geht den Taxifahrer die Krankengeschichte ja nichts an. Und doch waren meine Fahrgäste so schnell bei ihrem Thema. Nur wenige waren geneigt, ein Gespräch über sonstige Nebensächlichkeiten zuzulassen. Niemand will an Krankheit erinnert werden und niemand scheint zuzuhören. Darf man von der Krankheit reden? Aus Rücksicht auf die Gesunden werden viele von ihrer Krankheit schweigen. Wie viel Zurückhaltung tut gut - besonder gegenüber sportlichen Wanderfreunden, die ihre Gesundheit mit stramm gebundenen Kniebundhosen feiern?
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