Punkt neun steht das Taxi vor der Tür. Meine Krankenhaustasche ist gepackt. Ich fühle mich gesund und könnte meine letzten Wehwehchen zu Hause ausheilen. Doch nein, der Eindruck täuscht. Da schwirrt möglicherweise noch eine gute Zahl entarteter Zellen in meinem Blut- und Lymphsystem. Noch zwei Blöcke Chemotherapie stehen auf dem Programm, um auch die letzten überlebenden Krebszellen auszuradieren. Also geht’s heute wieder in die Klinik, zum vorletzten Mal und wieder für eine Woche. Der Empfang in der Klinik läuft schleppend. Als ich endlich mein Bett auf der Station habe, steht schon das Mittagessen auf dem Tisch.
Noch bevor ich die Vorsuppe löffeln kann, kommt die Visite in’s Zimmer geschneit. Zwei Ärzte schauen mich unschlüssig an und es wird schnell klar, dass die Herren in Weiß nicht mit mir hinter dieser Zimmertür gerechnet hatten. Wer weiß, ob da gerade jemand verlegt oder entlassen wurde. Der Oberarzt versucht, sich keine Blöße zu geben und fragt nach meinem Ergehen. Als Gesprächseinstieg - so jedenfalls meine Vorstellung - erzähle ich, dass es in der letzten Woche wenig an unangenehmen Nebenwirkungen gab und ich sogar Brennholz “aufgebeigt” habe. Seine Antwort überrascht mich. Ein paar kurze Floskeln bekomme ich zu hören, die vermutlich gut zu einem Treffen mit dem Nachbarn auf der Treppe im Hausflur gepasst hätten. Ob ich mit der Axt in den Wald gezogen wäre, will er wissen. Und schon sind die Ärzte wieder draußen.
Irgendwie spüre ich einen faden Geschmack auf der Zunge, obwohl die Chemo noch gar nicht angefangen hat. Nach meinem Gefühl hätten sich die Ärzte nach meinem Befinden erkundigen sollen, und zwar nicht nur nach den rein medizinischen Aspekten, die sie aus den Blutwerten ablesen können. Hätten sie sich nicht auch nach meiner Familiensituation erkundigen sollen und den Tagen in der Heimat? Darüber hinaus hätte ich gerne mit ihnen meine Erfahrung besprochen, dass ich in Wangen für die Blutkontrolle eine onkologische Praxis gefunden habe. Man hätte mir erläutern sollen, was in dieser Woche der Chemo auf mich zukommt und worauf ich mich einstellen sollte. Doch all das kommt nicht zur Sprache.
Während ich meine Gabel in die Kartoffeln steche und das Geschnetzelte koste, muss ich meine Gedanken zusammen nehmen. Nein, der erste Eindruck täuscht. Ich werde hier nicht veralbert oder links liegen gelassen. Wie immer werden meine Befunde von dem zuständigen Arzt sorgfältig ausgewertet. Meine Medikamente wurden in der Krankenhausapotheke ganz persönlich für meine Behandlung abgestimmt. Heute Nachmittag noch wird die Behandlung beginnen mit einem Medikament, das erst vor wenigen Jahren auf den Markt gekommen ist, und die Heilungschancen für meine Krankheit um über 20% auf mehr als 80% gesteigert hat. Ja, die Schulmedizin kann mir helfen, und zwar meinem Körper. So eine kleine Panne bei einer Visite darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier auf höchstem Niveau für meinen kranken Körper gesorgt wird.
Doch genau darin zeigen sich die Grenzen der Behandlung in einer modernen Klinik, die Grenzen der Schulmedizin überhaupt. Für den Körper wird gesorgt mit Fachwissen auf nie gekanntem Niveau und mit ständig erweitertem medizinischem Aufwand. Die Sorge für die ganze Person des Patienten mit Körper und Seele findet in dem System der Schulmedizin jedoch keinen Platz und von den Krankenkassen keine Bezahlung.
In einem Gespräch in der vergangenen Woche mit einer homöopathischen Ärztin anthroposophischer Prägung war ich auf dieses Spannungsfeld hingewiesen worden. Die alternativen Heilmethoden haben den ganzen Mensch im Blick und darin liegt die Stärke der Nicht-Schulmediziner. Deren Arzneimittel erscheinen fraglich und ihre Wirkung kann rein statistisch kaum nachgewiesen werden. Und doch spricht so manche Behandlung an, die jenseits des Fachwissens der Schulmediziner von alternativen Heilern angeboten wird. Sie setzen bei der Seele des Patienten an und können sogar auf Medizin verzichten, die am Körper eine nachweisbare Wirkung erzielt.
Es wäre unfair zu sagen, dass die Schulmedizin versagt hat. Im Gegenteil, sie kann beachtliche Erfolge vorweisen, was von alternativen Heilmethoden rein statistisch gesehen nicht gesagt werden kann. Und doch fällt die Schulmedizin im Ansehen der Patienten, gerade dann, wenn schnelle Heilung nicht möglich ist oder sogar die ehrliche Prognose gestellt werden muss: “Wir haben keine Mittel mehr zur Verfügung gegen ihre Krankheit!” Ein so umfangreiches Gebäude der medizinischen Wissenschaft wurde aufgebaut, dass dem Patienten im Krankenbett nicht mehr vermittelt werden kann, was mit ihm in seiner Behandlung gerade geschieht. Die Antworten der alternativen Heiler - und so mancher Scharlatane - lassen sich da viel leichter begreifen und geben die gesuchte Hoffnung - auch wenn diese sich als trügerisch erweisen muss.
Unser Schöpfer hat uns mit einer lebendigen Seele ausgestattet. Beide, Körper und Seele sind beteiligt, wenn es um Krankheit, Gesundheit und Heilung geht. Doch den Zusammenhang von Körper und Seele kann die medizinische Wissenschaft mit ihren Methoden kaum beschreiben. Gott, der Schöpfer unseres Körpers entzieht sich den Methoden der Wissenschaft. Jesus, unser Herr und Heiland kann nur durch den Glauben erkannt werden. Umfassende Heilung kann nur dort geschehen, wo der Draht zu dem besten Arzt geschaltet ist, wo Menschen im Glauben erfassen, dass Krankheit, Heilung und Gesundheit in Gottes Hand liegen. Jesus zeigt in der Geschichte vom Gichtbrüchigen (Markus 2, 1-12), dass ein gesundes Verhältnis zu Gott und damit die Heilung der Seele sogar Vorrang hat vor der Heilung körperlicher Gebrechen. Ein Gelähmter wird mit großem Aufwand zu Jesus gebracht und durch ein Loch im Dach an Seilen vor seinen Füßen abgelegt. Und Jesus sagt ihm: “Dir sind deine Sünden vergeben!” Alle staunen oder ärgern sich. Dazu hätte sich wohl keiner die Mühe gemacht, ein Dach aufzureißen. Und doch: Frieden mit Gott zu haben, das ist das wichtigste. Erst dann sagt Jesus noch fast beiläufig: “Nimm dein Bett und geh heim!”
Ich bin froh, dass durch den erfahrenen Dienst der Ärzte für meinen Körper gesorgt ist. Und es gibt mir Kraft zu wissen, dass so viele zu Gott beten, dass er mir Heilung und Kraft schenkt an Körper und Seele.
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